Der Kunde legte schon in der ersten Mail seine Karten auf den Tisch: Er hat ein Klaviano des Klavierherstellers Ferdinand Manthey, (1836 - 1909, Berlin) das vermutlich über 30 Jahre nicht gespielt und daher auch nicht gestimmt worden ist. Außerdem hängen zwei Tasten. Nach seiner Einschätzung ist das Klavier sehr verstimmt.
Was passiert mit einem Klavier, wenn es 30 und mehr Jahre nicht gestimmt worden ist? Es verstimmt sich. Ist das alles? Das kommt darauf an. Zum Beispiel auf den Standort. Steht ein Klavier zu trocken, so können Schäden entstehen. Holz zieht sich bei zu geringer Luftfeuchtigkeit (unter 30 Prozent) so stark zusammen, dass es zerreißt. Das kann dazu führen, dass die Stimmnägel nicht mehr fest genug im Holz des so genannten Stimmstocks stecken. Dann können sie auch die im Vergleich zu anderen Saiteninstrumenten sehr hohe Spannung der Klaviersaiten nicht mehr halten. Ist das der Fall, so kann man das einem Klavier am Grad der Verstimmung anhören. Zum Beispiel in der folgenden Aufnahme hören Sie Einzeltöne, die der Reihe nach gespielt worden sind. Zum einen hört man zahlreiche Töne, die in sich sehr stark verstimmt sind. Zum anderen hört man teilweise nicht, dass die Töne in der Reihe gespielt worden sind. Eine derartige Verstimmung kann der Hinweis auf einen Schaden im Stimmstock sein.
Kritische VerstimmungBeim normalen Probespiel hört sich eine derartige Verstimmung dann so an:
Klaviano verstimmtSind Klaviere, die über einen längeren Zeitraum keinen Klavierservice gesehen haben, selten und somit ein Sonderfall? Nein! Derartige Instrumente erlebt die Klavierstimmerei Praeludio® aufgrund der Tatsache des außergewöhnlich großen Einzugsbereichs relativ häufig. Also kein Grund, beim ersten Anzeichen von Anstrengung gleich die Flinte ins Korn zu werfen. Sich den Patienten erst einmal anschauen. Dann Schritt für Schritt die Stimmbarkeit prüfen. Im Idealfall das Instrument dann gleich in gute Stimmung bringen. Funktioniert zwar nicht immer, doch der Prozentsatz von überhaupt nicht mehr stimmbaren Klavieren ist sehr klein.
Derartig sachliche Aussagen sowie dokumentierte Erfolgsmeldungen hören und sehen viele Kollegen nicht gern. Sie haben sich selbst zum Handlanger der Klavierindustrie degradiert, wenn sie voreilig behaupten, ein Klavier wäre nicht mehr zu stimmen. Die Absicht, lieber ein neues Klavier verkaufen zu wollen, lässt sich oftmals schon beim ersten Kontakt am Telefon erkennen, wenn nämlich keine Bereitschaft besteht, sich überhaupt noch z.B. um ein älteres Klavier zu bemühen. Das scheint Ihnen unglaublich? Leider ist es aber wahr, wie mein Blog Serviceverweigerung als Beispiel für Contentmissbrauch beweist. Dort liste ich eine ganze Reihe von Fallbeispielen auf und ergänze den Blog immer wieder durch eine neue unglaubliche Geschichte von der mangelnden Kundenorientierung in der zumindest in Europa im Aussterben befindlichen Gattung des Klavierservice.
Zurück zu unserem Klaviano. Nein, ich habe mich nicht verschrieben. Für diese 1936 erstmals produzierte Klavierkonstruktion hat der durchaus innovative Klavierhersteller Manthey die Bezeichnung Klaviano gewählt. Es handelt such um ein so genanntes Tischklavier. Das heißt, es ist nicht höher als knapp einen Meter. Die Hämmer der Klaviermechanik schlagen die Saiten auf Höhe der Tasten an. Das ermöglicht eine Untermechanik. Die Tasten ziehen bei diesem Modell die Mechanik unter dem Klavierhammer nach oben. Normalerweise drückt die Taste die Mechanik nach oben. Das heißt, man hat beim Klaviano ein leicht verändertes Spielgefühl. Technische Probleme mit der Mechanik erweisen sich häufig als echte Probleme, nicht an alle Teile der Mechanik wie gewohnt zugänglich sind. Bei dem Instrument aus unserem Hörbeispiel hatte ich Glück: Die beiden hängenden Tasten erwiesen sich als ein schnell lösbares Problem. Hier finden Sie einen Vergleich verschiedener Konstruktionen der so genannten Untermechaniken mit Beschreibung, Bildern und Hörbeispielen als eine der informativen Zusatzleistungen der Klavierstimmerei Praeludio®.
Interessant ist, dass Ferdinand Manthey bereits 1936 einen Druckstab verwendet hat, wie er in der Stärke nur von Yamaha bekannt ist. Wenn man die für die Pianos von Yamaha typischen Kapodaster mittlerweile auch in den Instrumenten aus Korea und China sieht, dann liegt das schlicht daran, dass es Yamaha war, die zuerst den Koreanern (Yang-Chang) und dann den Chinesen (Pearl River) im Rahmen von Partnerschaften gelernt hat, wie man Klaviere baut. In Europa werden bis heute meist dünnere Druckstäbe verwendet. Doch für die bereits mehrfach angesprochene Stimmbarkeit scheint die Stärke des Kapodasters ein wichtiges Merkmal zu sein.
Nach dem Überprüfen der Stimmbarkeit ging es im ersten Schritt darum, die kritischen Töne und dann die in der Tonhöhe unterschiedlich verstimmten Lagen anzupassen. Dabei habe ich mich an der vorhandenen Tonhöhe orientiert, um zum einen bei einem sich möglicherweise erst beim kompletten Stimmen herausstellenden Schaden nicht zu hohe Zugkräfte im Instrument wirken zu lassen. Zum anderen wollte ich das Risiko von Saitenbrüchen vermeiden. In Rücksprache mit dem Klavierbesitzer entstand daraus die gute Stimmung auf 417 Hertz:
Manthey 417 Hertz gestimmt