Geschickte Klavierkäufer

Nachdem das alte Klavier nicht mehr stimmbar war, begab sich eine Familie aus dem Landkreis Ansbach auf die Suche nach einem neuen Klavier. Herausgekommen ist ein Piano von privat zu einem sehr günstigen Preis. Nun fehlt nur noch die gute Stimmung am besten zum Festpreis – ein Fall für die Klavierstimmerei Praeludio®

Der Klavierkauf wurde ernsthaft und umfangreich betrieben. Man besuchte einen Klavierhändler und ließ sich von vorhandenen Klaviermarken und -modellen verführen. Mit anderen Worten: Man gab dem herkömmlichen Weg des Klavierverkaufs immerhin die Chance in Form der folgenden Frage: Würde eines dieser Pianos so gut klingen, sich so angenehm spielen lassen, dass es den unbedingten Das-muss-ich-haben-Wunsch auslöst? Den Oha-Effekt im Sinne einer Auszeichnung bekam das Meisterstück des Inhabers des Klavierhauses. Aber selbst die neueste Version eines Hybrid-Pianos von Kawai in der Show-Variante mit durchsichtiger Scheibe fielen beim Probespielen durch. Warum? Interessanterweise bescheinigten die Interessenten den E-Pianos ebenso wie den Hybrid-Pianos vor allem im Diskant sowie auch im Bass eine schlechte Stimmung! Das ist auf den ersten Blick wirklich überraschend. Geht man doch davon aus, dass man bei digitalen Sounds per Software die perfekte Stimmung ganz einfach programmieren kann. Kann man vermutlich auch. Aber den Elektronik-Fachleuten fehlen unschwer hörbar die Spezialisten für die gute Stimmung. Dieses Phänomen habe ich schon mehrfach bei Kunden beim kritischen Überprüfen der Stimmung z.B. an deren Marken-Keyboard festgestellt. Bei einem schlecht gestimmten Keyboard oder E-Piano hat man das gleiche Empfinden wie bei einer schlechten Klavierstimmung: Die fehlende Spreizung zieht einen förmlich runter. Trauermusik bewirkt Trauerstimmung. Gut für eine Beerdigung. Aber nichts für den Alltag!

Wieder einmal zeigt sich, wie die Klavierkäufer den Mehrwert nicht nur suchen, sondern sich der möglichen Mehrwerte durchaus bewusst sind. Und es zeigt sich gleichzeitig, welche Chancen die Klavierindustrie mit ihrem positiv unterstellten Wissen über die Organisation einer guten Tasteninstrumente-Stimmung verstreichen lassen. Manche Klavierhersteller geben Statistiken in Auftrag, um zu ermitteln, wie viele Musiker in Deutschland pro Jahr neue Tasteninstrumente, also

  • akustische Klaviere,
  • E-Pianos,
  • Hybrid-Pianos oder
  • gebrauchte akustische Klaviere

kaufen. Als Konsequenz aus den nackten Zahlen steigen die Klavierhersteller als Händler oder auch Hersteller in das Geschäft der E-Pianos ein, um wenigstens ein ganz klein wenig an dem relativ starken Trend zu partizipieren. Sie tun nichts für oder gegen einen Trend. Sie springen lediglich auf einen bereits fahrenden Zug auf. Ist das Marketing? Sind das Klaviermarken mit einer authentischen Markenpersönlichkeit? Versucht hier eine Marke nachhaltig ihren Führungsanspruch in den Köpfen der Freunde der Klaviermusik zu platzieren? Nichts davon scheint zuzutreffen.

Wie könnte ein anderer Weg aussehen? Mein Vorschlag lautet: Anstatt vor dem vermutlich giftigen Reptil in Angst zu erstarren, muss man der Klapperschlange die Rassel wegnehmen, um damit selbst klappern. Sie wenden ein: Wie bitte soll man diesen Hinweis im Transfer verstehen? Nun, die Klavierhersteller könnten mit dem Wissen darüber, was der Markt wirklich will, nämlich

  • die authentische, leicht gängige Spielart,
  • als Basis der Klanggestaltung den akustischen Wohlklang sowie
  • die in allen Tonarten gleichermaßen verwendbare gleichtemperierte Klavierstimmung,

an ihrem Defizit über

  • digitale Sounds,
  • Midifizierung sowie
  • Programmierung

arbeiten. Der Mehrwert, den die Klavierbauer mit der Integration der zeitgemäßen Möglichkeiten generieren könnten, wäre erheblich! Die so entstehenden Musikinstrumente würden die Musikwelt nicht nur bewegen, sondern aus dem Angeln heben. Die Mitbewerber, die sich auf Keyboards und E-Pianos beschränken, hätten dauerhaft keine Chance. Denn das Basiswissen über die Mehrwert-Kriterien der Tasteninstrumente liegt traditionell bei den Klavierbauern, da das Klavier trotz aller Handicaps das am meisten verbreitete Tasteninstrument ist.

All das scheint Yamaha schon zu wissen. Die Japaner verfügen in all diesen Bereichen bereits über umfassende Erfahrungen. Der japanische Konzern engagiert sich ganz bewusst als Marktführer nicht nur im Bau von akustischen Klavieren und Flügeln sondern auch in der Zukunftskategorie des Hybrid-Pianos, um das herkömmliche Klavier neu und zwar zeitgemäß zu positionieren. Das verstehe ich unter Marketing, nämlich den Markt gestaltende Maßnahmen, die auf die Sicherung und Entwicklung von Beständen in der Zukunft ausgerichtet sind.

Doch alle Tasteninstrumentehersteller eint aktuell die Weigerung, die (gute) Stimmung zu thematisieren. Bei den Klavierbauern geht es um die Stimmbarkeit. Die besseren Saiten der Kategorie Pure Sound werden in der europäischen Produktion kaum eingesetzt. Die Japaner, also sowohl Yamaha als auch Kawai haben sich bereits frühzeitig für diese Alternative zu den unreinen Saiten begeistert. In dem Zusammenhang sind als ein herausragendes positives Beispiel aber nur die Pianos von Mason-Hamlin zu nennen.

Die Hersteller von Tasteninstrumenten mit digitalen Sounds wissen um das Handicap der schlechten Stimmung. Das Thema wird mit einer gewissen Überheblichkeit negiert, wie ein Interview mit dem Erfinder der dynamischen reinen Stimmung (Hermode Tuning) verrät. Darin äußern sich die japanischen Produzenten von Keyboards, E-Pianos, Hybrid-Pianos sowie akustischer Klaviere und Flügel auf Anfragen sehr ausweichend, ob das Hermode Tuning für sie interessant sei:

  • Roland: Haben wir nicht nötig!
  • Yamaha: Wir wollen selber etwas entwickeln und mögen keine externen Vorschläge! (ist aber innerhalb 12 Jahren nichts passiert)
  • Kawai: Ein Klavier muss verstimmt klingen!

Yamaha hat seine Meinung mittlerweile zumindest insofern geändert, als es seit Cubase 7 von Steinberg (Tochter von Yamaha) das Hermode Tuning gibt.

Tatsächlich wurde ich nach dem Stimmen von dem jungen Klavierspieler gefragt, wo denn nun der Unterschied zwischen seinem preisgünstigen alten NoName-Piano und den Markenklavieren läge? Hm. Der Unterschied ist sehr gering. Das alte Piano ohne Namen - der Namenszug in der Tastenklappe ist lediglich das Marketing eines Klavierhändlers - ist trotz seines Alters bereits ein Kreuzsaiter und es spielt ebenso wie ein modernes Klavier mit einer Unterdämpfer-Mechanik. Natürlich ist es in der Höhe des Kammertons limitiert. Auch in der Stimmbarkeit gibt es Einschränkungen, die sich daran zeigen, dass man für ein gutes Ergebnis mehr Zeit und viel Erfahrung benötigt. Aber den Unterschied von mehreren tausend Euro kann man tatsächlich kaum in Worte fassen und schon gar nicht im Sinne eines Preis-Leistung-Vergleichs rechtfertigen. Vor diesem geradezu erschreckenden Hintergrund müsste die Klavierindustrie hierzulande sehr motiviert und gleichzeitig hoch erfreut über die neue Kategorie im Klavierbau, dem Hybrid-Piano, sein. Doch anstatt die Chancen zu suchen, wird dieser Trend z.B. in Form von Bechsteins Vario mit 20 jähriger Verspätung eher zaghaft aufgegriffen.

Zurück zu dem Klavier in unserem Hörbeispiel. Man hört ihm vor der Stimmung deutlich an, dass es längere Zeit nicht gestimmt worden ist. Wieder einmal fällt nach der Stimmung die Störung durch ein quietschendes Pedal stark ins Gewicht. Erst nach Beseitigung dieser Störung bekommt man als Klavierspieler so richtig Lust, Wohlklang und die gute Stimmung des Instruments über volle 7 Oktaven zu genießen.

NoName-Piano verstimmt Klavier gestimmt, aber... Störungsfreie Stimmung
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